Galleria Michelangelo
  ECCE HOMO XXI  
                             

Ohne Konstellation sein.

Der Ecce Homo XXI von Franco Ionda

 

 Gianmaria Nerli

 

 

 

Die Ideen verhalten sich zu den Dingen wie die Sternbilder zu den Sternen

Walter Benjamin

 

 

Es kann nicht ein Problem der Künstler sein, dass unsere Städte die Sicht auf die Sterne verbergen; so wie der Mond aufgehört hat ein Problem der Dichter zu sein. Vom Mond erwarten wir uns die Gewinnung von Helium, Wasserstoff und Sauerstoff, für Zeiten, in denen wir nichts mehr davon haben, und von den Sternen erwarten wir uns einfach nichts mehr. Die Lichter unserer Großstädte haben uns daran gewöhnt, nach unten oder geradeaus, nach vorne zu sehen, damit wir uns nicht verirren, verlieren in den unzähligen Straßen. Sie haben die Dunkelheit und die Finsternis verdrängt, dort, wo sie bereits niemand mehr sucht. Dennoch erlaubte uns die Finsternis einen Blick nach oben, oder aber in den tiefen Abgrund in unseren Augen zu richten. In der Finsternis entwerfen die Sterne ihre Bilder, die Konstellationen beschreiben, die uns einen Weg versprechen. Geschützt vor jedem Schein existiert der unbegrenzte Raum des Gedankens und des Denkens. Und trotzdem verbirgt der Schein hinter sich nicht die Dunkelheit, sondern das Dunkle, das unerkannt bleibt, da es bereits vom Licht absorbiert ist. Das unregelmäßige Leuchten der Sterne bringt keine Form, kein Geheimnis, keine Erwartung hervor; es ist ein müdes Leuchten, das unseren Blicken matt und verbraucht erscheint. «Glückliche Zeiten», schrieb György Lukács, «sind jene, in denen das Firmament eine Karte an begehbaren und benutzbaren Wegen ist, und deren Straßen vom Licht der Sterne beleuchtet werden. […] Unendlich ist die Welt, jedoch auch nicht mehr als das eigene Haus, da das Feuer, das in der Seele brennt, die gleiche Substanz wie die Sterne hat». Seitdem nicht mehr das Firmament die Nacht der Menschen erhellt und die Sterne nicht mehr die menschlichen Schicksale bestimmen, hören auch die Sprache der Kunst und die sinnlich wahrnehmbare Erfahrung der Welt auf sich gegenseitig aufs Neue zu erhellen. Sie unterbrechen den wechselseitigen Dialog, der unsere Gedanken nährt und verführt. Auf diesen Dialog spielen die enthaupteten Sterne von Franco Ionda an, die darauf ausgerichtet sind diese unterbrochene Beziehung zu beleuchten; ein Versuch, der schon seit langer Zeit eine der wichtigsten Charakteristiken der großen Kunst ist, die jedes Mal aufs Neue das eigene Sternensystem, den eigenen Kosmos erschaffen muss, um einen Dialog, der Sinn hat, zum Ausdruck zu bringen. Das Geheimnis von Ionda liegt darin, dass er uns drängt diesen Kosmos zu betrachten, den Blick wieder nach oben zu richten; auch um nur zu entdecken – das dürfen wir nicht vergessen – dass «der Himmel jetzt auf Erden ist, sich umkehrte und die Sterne zum Anfassen sind.»

 

Und dennoch weiß der Künstler sehr wohl, dass die Sterne berühren eine vertraute und zugleich melancholische Handlung ist: Das Bewusstsein, dass der Himmel aus Papier von Mattia Pascal endgültig aufgelöst ist, und das Wissen um das verunstaltete Schicksal, das bereits vollständig vergegenständlicht und zur alleinigen Anwendung verurteilt ist, aber auch die Bewusstwerdung, dass die Entstellung im Leben und nicht in der Kunst liegt. Das Unglück liegt in den Dingen, sagt Ionda, nicht im Ausdruck. Seine Kunst lebt nicht den Schmerz, sie erkennt ihn, sie beachtet ihn und führt ihn wieder zurück zur sozialen Erfahrung; er verwandelt ihn folglich in Reden, in ein – in gewissem Sinne – politisches Handeln. Das Unglück wird erkannt und außerhalb der Sprache abgelegt und zugleich aber den Worten und dem Schicksal eines auch verlorenen zoon politikon zurückgegeben. Die Kunst geht ihren Weg ganz und kehrt zum Menschen zurück. Sie versucht aufs Neue mit Hilfe ihrer Ausdrucksweise (und nicht für diese selbst) das Schicksal desjenigen zu verstehen, der verunsichert den Anfang dieses XXI Jahrhunderts erlebt. Die Sprache von Ionda vermittelt eine unmittelbare Frische; sie erreicht uns ein wenig vor und ein wenig nach der Kunst mit ihren Protokollen und Ritualen: Diese Werke erzählen immer etwas von uns und unserer Welt, bevor sie von sich oder dem eigenen quälenden Schicksal erzählen. «Die Lüge ist nicht in den Worten, sondern in den Dingen», schrieb Italo Calvino. Der Hauptsinn der Kunst von Ionda ist das neuerliche Anknüpfen des Sprechens an die Dinge, der Erfahrung an die Erfahrung und der Lüge an die Lüge; auch wenn wir wissen, dass die Dinge nie Dinge sind und sie nie so sind wie sie sind. Um sie zu begreifen, dürfen sie nicht direkt aufgefasst werden; sie müssen ein wenig verdeckt und ein wenig gezeigt werden. Die kosmologische Kraft der Poesie von Ionda liegt in der Konstruktion aus Dingen und Worten und auch in der Verflechtung von Erfahrungen und Gedanken.

 

Die enthaupteten Sterne entstanden im Übrigen aus der Begegnung mit Majakovskij, aus seiner Abneigung gegenüber einem befreiten Kosmos, befreit von antiken Autoritäten, aber auch losgelöst von jeder menschlichen Fessel: «seht:/ sie haben wieder die Sterne enthauptet/ und den Himmel mit Blut befleckt, wie einen Schlachthof!» Der Verlust unserer Körper, die keine Dimension, keinen Horizont, keine Orientierung mehr haben, interessiert im Besonderen sowohl den Dichter als auch den Künstler. Der Verlust des Denkens, das nicht mehr fähig ist Räume, Formen, Zeiten, Zugangsdynamiken und Wechselbeziehungen für den Körper zu erschaffen, legt Ionda in Fesseln und drängt ihn eine Karte als Hypothese anzunehmen, einen Lichtreflex dieses umgekehrten Himmels einzufangen. Die Antwort auf diesen Verlust ist die intellektuelle Triebfeder seiner Kompositionen, die sich zwischen Malerei, Bildhauerei und Techniken einer seriellen Reproduktion bewegen. Es scheint, sie wollen die vielfältigen Dimensionen der sinnlich wahrnehmbaren Welt, ihrer Worte und Ideologien, und dieser unüberwindlichen Abneigungen des Künstlers selbst, die diese ergänzen, enthalten und zusammensetzen. Tatsächlich beherrscht, selbst im Kompositionsgleichgewicht, die Welt dieser Werke eine Spannung zwischen dem Zustand der Möglichkeit und der Lüge, denn auch hier, wie bei Majakovskij «Taub./ Schläft das Universum,/ legt auf die Pfote/ das  riesige Ohr mit Sternenzecken». In den Bildern von Ionda jedoch weitet sich die Allegorie aus, wird unvermeidbar komplexer; an die Sternenzecken binden sich regelmäßig wiederkehrende Bilder, wie dichte Kronen aus Nägeln, Nägel in einer Reihe, einzelne Schriftzüge, die langsam zerbrechen, Häupter, die auf zwei Dimensionen reduziert sind. Es ist ein Universum, das nicht mehr Zeit hat, sich auf seinen Melancholien auszuruhen: Die Sternenzecken, die Nägel, die Kronen, die handschriftlichen Fragmente eines Schriftzuges und die erdrückten Häupter befinden sich nicht mehr an der Schwelle des Verständnisses, sie stehen nicht mehr im Zweifel über die Absicht; sie haben bereits das Ohr hinter sich gelassen und verschmelzen ohne jegliche Empörung eben mit der Substanz des Universums; mit dem großen Universum, das den Horizont des Himmels bildet und das auch unser inneres Universum ist, unsere Dunkelheit, die vom Schein und den Sedimenten einer Kultur abgebrochener Sterne, spitzer Nägel, verkalkter Sprachen verbraucht ist. Kernpunkt der Kunst von Ionda ist, dass der umgekehrte Himmel außer- und innerhalb von uns besteht und dass nun das Universum der Dinge ein umkehrbarer Zustand ist: Die Schwelle geht verloren, die Sternenzecken bluten nicht mehr, da sie eins sind mit dem Blut, das die Venen benetzt und korrodiert. Die Herausforderung besteht also darin, die Bilder nach Möglichkeit, aus einem Zustand, der uns beengt und von innen her blockiert, herauszuholen und von der ideologischen Verzauberung, in die der Dialog einer ganzen Welt an Dingen und Worten eingehüllt ist, loszureißen und dem, was von der Lüge übrig bleibt, eine plastische und geistige Konkretheit zu geben. Auch die Lüge, die im falschen Schein der Sternenreste aufgesogen wurde, tendiert aus unserem Universum zu verschwinden; und wenn die Lüge verschwindet, verschwindet auch die Wahrheit; und mit der Wahrheit verschwindet auch der Mensch, so wie er ist in einer unerschütterlichen Realität, entfacht von einer Heteronomie, die ihn bewohnt, umschließt, verbraucht.

         
   
         
   
         
                 

Diese Zerstörung, diese Verzehrung von innen und von außen erfasst die Intelligenz von Ionda, die in seinem Versuch liegt, dem humanen Bereich wenigstens in der Sprache der Kunst den Menschen zurückzugeben. Oder besser in dem Versuch, mit Hilfe der Kunst, diese vielschichtige Spannung, emotionaler, psychischer oder geistiger Natur, neu festzulegen, die Räume hervorbringt, wo die menschliche Realität, umgeben vom Schlamm ihrer Geschichte, zur Gesellschaft wird und das Leben, auch wenn es ohne Sinn und Transzendenz ist, seine Würde gegenüber der Barbarei erlangt. Mit einem Wort ist es der Versuch eine sakrale Spannung um den Menschen, um sein Leben und seine Gestalt zu erschaffen; der Versuch jene Rituale, jene Wechselwirkungen, jene Kultur des Nachempfindens und des Konfliktes wieder zu finden, die unsere Gesellschaft, die vom Markt beherrscht ist, langsam und leise zerstört. So wie die Kraft der Worte, immer mehr vom wachsenden Geschwätz und vom unüberwindlichen Hintergrundgeräusch kooptiert und verschlungen wird, so erschöpft sich die Macht der Bilder, die in ein bisweilen fast verschwommenes Gitter aus Farben, Formen, Rastern eingefügt werden. Genau von diesen Bildern entfernt sich Ionda, er versucht sie von diesem Unbestimmten loszureißen, das nicht nur Mangel an kultureller Unterscheidung ist, sondern auch emotionaler und geistiger Gedächtnisverlust, demzufolge eine menschliche Vernichtung bedeutet. Seine Bilder kämpfen gegen das Unbestimmte und versuchen in jeder Hinsicht das alltäglich Sakrale wiederherzustellen, indem sie den Zeitungen Bilder von Figuren entnehmen, die in der seriellen Reproduktion annulliert wurden und in einem Ausbruch an Rastern verloren gingen: Diese Bilder definieren sich in einer bestimmten Weise, um der Dimension der menschlichen Zeit und auch unserer aktuellen Geschichte das Bild zurückzugeben. Obwohl der Künstler das Bild aus der typographischen Reproduktion, das mit einem Gitter versehen ist, einsetzt, es vergrößert, fotokopiert und wieder zurück einordnet, folgt er trotzdem nicht der Linie der Pop-Art. Im Gegenteil, es handelt sich um Anti-Pop-Kunst, aber nicht weil sie von einer Revanche aristokratischer Ästhetik beseelt ist, oder noch weniger, weil ihr der Angelpunkt der Pop-Erfahrung fehlt, vielmehr spielt der Markt den Herrn in jeglicher Kommunikationsform und selbst die Kunst unterscheidet sich nicht mehr in den Bedingungen von jeder anderen Ware. Anders sein ist das Ziel und das Bewusstsein, dass nicht in der Kunst die Lösung liegt, nicht im Positiven und nicht im Negativen. Die Lösung liegt, auch mit Hilfe der Kunst, hingegen in der Rückgewinnung eines Raumes an Bewusstsein und Subjektivität. Die Kunst wird als Ausdrucksmittel wieder unersetzlich, weil sie mit ihren ästhetischen Bildnissen nicht die Gedanken und das Leben ablöst, sondern im Gegenteil diese nährt und sie anfechtet.

 

In diesem Fall ist diese Anfechtung nicht abstrakt, sie verdeutlicht sich in der Sprache selbst, die sich Ionda Werk für Werk aufbaut, wenn er den Raster des Bildes extrem vergrößert, ihn auf Holz befestigt, das Papier der Photokopie in Leinöl einlässt, wartet bis die durchtränkte und klebrige Tafel den Toner behält; der die Tinte der Photokopie ist, eine Spur, von dem, was das Bild einmal war, aber auch Dokumentation von einer Welt und ihrer chemischen Metamorphose. In diesem Prozess der Extraktion wird das Bild wieder zum Bild, es sondert sich ab, nimmt einen eigenen Charakter an, hält eine Rede, die unsere lärmende Mauer der Aphonie herausfordert. Und zugleich bereichert es sich mit den allegorischen Eingriffen des Künstlers, der seine Sterne aus Aluminium, seine abgebrochenen Zecken einfügt, seine Nägel säht, die wie Steine rollen, seine Kronen anbringt, die sich wie Metallrosen verflechten. An dieser Stelle löst sich das Bild von seiner Realität als eine bloß wiedergegebene Sache, begibt sich auf den Boden der Gedanken und betritt die Welt der Allegorie: Jedem dieser abgezogenen Bilder gelingt es gleichzeitig Dokument von sich selbst zu sein, von etwas, das teil hatte an der Welt; aber es gelingt ihm auch Erzählung zu sein, die über das Bild hinausgeht, das bedeutet eine Erzählung über die Welt, die es enthält und die es enthalten hat. Aber auch hier ist der Prozess nicht abstrakt, sieht nicht ab von der Natur als Material für das Werk, von der handwerklichen und manipulierenden Dynamik des Werkes: Der Träger aus Holz, getränkt in Öl, oder mehr noch, Holz der Reliquienbehälter in Öl eingelassen, das dieses Tun ermöglicht und der vollständigen Handlung der Semantisierung des Bildes bearbeitete Subjektivität schenkt. Ohne die Solidität der Dinge kreisen die Gedanken umsonst, ohne ein ästhetisches Material beschränkt sich die Kunst auf abstrakte Ideen, ist verurteilt zu einer unendlichen Wiederholung ihrer selbst oder der Ideologie, die sie aufrechterhält. «Ohne Steine gibt es keinen Bogen», verkündet der Marco Polo von Calvino lakonisch. Die Kunst von Ionda bringt den Bogen wieder mit den Steinen zusammen; verbindet die Subjektivität mit dem Entwurf der Gedanken. Oder besser, sie unterscheidet die Subjektivität der Dinge von der vermuteten Subjektivität der Gedanken, die zu oft Gefahr laufen, vom Gesetz absorbiert zu werden, von dem sie vorerst legitimiert, aber letztendlich annulliert werden. Um diese Werke verstehen zu können, erblicken sich für einen Moment zwei konfliktgeladene, aber zugleich solidarische Kräfte: Der Kampf subjektive Gedanken hervorzubringen und das Bedürfnis an Einzigartigkeit, die von den Dingen ausstrahlt, ein Bedürfnis an Subjektivität, für die die wiedererhaltenen Bilder ein Beweis sind. Die Herausforderung der Kunst von Ionda ist, dem Unbestimmten jegliche Kraft seiner Einzigartigkeit zu entreißen; der Lüge und der Schmeichelei der Identität unserer Sprachen die besondere Alterität jeder Erfahrung, jedes Gegenstandes, jedes Denkens, das im Augenblick seines Entstehens verstanden wird, zu entziehen.

 

Diese Suche nach Einzigartigkeit kristallisiert sich als formales Leitmotiv heraus; das auf den Tafeln, die die Spuren des Toners wiedergeben, auf den bemalten Leinwänden, in den Schichten der Serigraphie und im mattierten Aluminium zum Ausdruck kommt. Die Antwort auf diese tiefgehende Zerstörung wird in den Portraitserien der Libertà provvisoria gesucht und im Versuch konkretisiert, auf irgendeine Weise der Malerei die Figur, oder das, was von ihr übrig bleibt, zurückzugeben. Deswegen sind die Techniken vielfältig, auch wenn sie stets den Kernpunkt dieses Problems verfolgen. Zum Teil werden die gleichen alltäglichen Bilder, anstatt dass sie über das Holz gelegt werden mittels einer richtigen Umschreibung auf Leinwand oder auf Papier mittels einer Art kalligraphischen Explosion gebracht, die den schwingenden und nicht fassbaren Körper darstellt. Es ist eine Erfindung einer neuen Syntax des Bildes; um eine Abweichung der Herausforderung an das Unbestimmte, um nicht der Kunst, sondern dem Sozialen der Erfahrung und der Gedanken das Bild und den Träger zurückzugeben. Letztendlich handelt es sich auch dann um eine Umschreibung des Bildes, eine Erfindung einer Syntax, wenn sich die Spur der Tinte auf der Tafel absetzt. Die Materialität der Spur und die Wechselwirkung mit der Trägersubstanz erschaffen einen schriftlichen Ausdruck; genauso wie das chemische Wunder des Filmes und die taktile Kraft einer photographischen Impression, die vielleicht eine der aussagekräftigsten schriftlichen Ausdrucksmöglichkeiten ist, die je vom modernen Menschen erfunden wurden. Genau diese einzigartige und neu definierte Syntax erlaubt den Bildern auch das anzustreben, was sie nicht sind, sich in Metaphern zu konkretisieren, auf Verhältnisse anzuspielen: Ab diesem Zeitpunkt, können Figuren mit einem starken metaphorischen Bezug, (ohne die zweideutige Leichtigkeit der Anspielung auszunutzen) ohne Verdacht zu erregen entstehen; es können Aussagen, Schreie, Schlangen an Randgruppen (um unseren aktuellen vierten Staat zu nennen) und alle tiefsinnigen Äußerungen über konkrete Zustände von Missbehagen, Schmerz und Gewalt einer ganzen Zivilisation hervortreten.

 

Und trotzdem ist der Dialog, den Ionda mit seinen letzten Werken verursacht, die der Ausstellung ihren Namen geben, vielschichtig und schwer zu verstehen: Die Figur ist ein Sediment, eine Spur einer Welt, die den Menschen in eine Linie, in ein Abbild gepresst hat, das auf ein Minimum seiner Dimensionen reduziert wurde. Zur gleichen Zeit stellt sie die Anstrengung dar, die Dimensionen des Menschen der Welt und vor allem die Dimensionen der Welt dem Menschen wiederzugeben (Ionda erhält nicht zufällig seine Figur aus den stilisierten Formen der enthaupteten Sterne, die sich stufenweise als menschliche Stämme erweisen, und gleichzeitig durch das Lösen von festen Formen aus einer Photographie und nicht mehr aus einem typographischen Gitter). Der Ecce homo XXI von Ionda wendet sich also nicht nur an den Menschen, sondern auch an die Welt der Dinge und an die Formen mit denen sie an den Menschen denkt. Die Welt denkt heute immer öfters an ihn; wir leben in einer vollständigen Realität, die das Denken und das menschliche Leben durch die Dynamiken alleiniger Durchführung ersetzt hat: Jean Baudrillard schreibt, dass in einer Welt, befreit von der Wahrheit und von den Lügen, die Dinge «jede Illusion verloren haben unverzüglich und vollständig ohne Schatten, ohne Worte wirklich geworden sind». Die Figuren von Ionda, verloren in ihrem losen Spazieren zwischen den Sternen, bewegen sich innerhalb der Dynamik einer Welt, die in eine rein praktische Stumpfheit aufgelöst ist. Aber bei diesen spazierenden Figuren handelt es sich um Personen ohne Worte und ohne Schatten, irreparabel geformt und bewohnt von dem, was sie eigentlich nicht sind, verlassen im Raum, aber umgeben von den allegorischen Spionen, wie den Sternen, den Nägeln, den toten Schriftzügen. Es sind jedoch Figuren, die in gewisser Weise leben wollen, sie sind unbeweglich, aber setzen eine Art Weg in Bewegung. Der Künstler selbst ist eine Figur, die auf dem Weg mit diesen Kompositionen ist, die teilweise auf ähnliche Art wie die serigraphische Malerei entstehen, bei der ein Universum Schicht für Schicht (Farbe über Farbe, Substanz über Substanz) gemalt wird, das auf sich aufgehängt ist. Mit dieser Malerei und gleichzeitig Nicht-Malerei, mit dieser Verbindung aus Handarbeit, Geste und mechanischer Wiedergabe berührt er den Kernpunkt und stößt auf die Substanz seiner Kunst, die kein Volumen hat, und trifft zugleich auf das Volumen unserer heutigen Situation der Menschen, das keine Substanz aufweist. Er findet, in gewissem Sinne eine neue Möglichkeit einen Platz zu finden und mittels seines Materials und nicht seiner Ideologie die stumme Situation des gegenwärtigen Menschen zu erkennen. Silhouetten, die zerdrückt wurden von einem Fehlen an materieller und begrifflicher Dimensionalität (die zwei festen Dimensionen der Farbe sind Teil der unauslöschlichen malerischen Fiktion), werden herangezogen, um die Geschichte einer Subjektivität zu erzählen, die weder Substanz noch Bewegung findet und auch keine Existenzdimension beim Entstehen von sich selbst oder anderer Dinge erreicht. Sie scheint das beckett’sche Ende von En attendant Godot fortwährend neu zu erleben, in dem die zwei Hauptfiguren sagen, sie gehen weg, aber niemals aufbrechen («Vladimir Alors, on y va ?/ Estragon Allons y. Ils ne bougent pas»): Die Silhouetten ohne Dimensionen berichten von einem Bewegen ohne von der Stelle zu kommen, sie weisen auf ein Platzfinden ohne wirklich den Raum einzunehmen. Die promenades von Ionda haben die explosionsartige Kraft eine äußerste Wahrheit unseres Zusammenlebens in einem Augenblick zu erfassen: Die fehlende Verfügbarkeit für den Anderen; für jenen, den wir gegenüber von uns haben; für jenen, der in uns selbst verloren geht oder für jenen anderen, der aufgrund der Vielfältigkeit der Pläne und Perspektiven, die sich übereinander lagern ohne sich zu berühren, unbegabt erscheint und den wir zurückweisen bei unseren täglichen Zusammentreffen ohne Begegnung.

 

Diese Zusammentreffen ohne Begegnung zwischen Figuren, die vom Schein der reinen Durchführung getrieben sind, erleuchten den Horizont des eben begonnenen Jahrhunderts: In der Unfähigkeit der Begegnung, in der Beziehungs- und Gefühlsatrophie, im Verlorengehen des Begehrens, außer als reine passive Reaktion, zeigt sich ein definitives Ende des symbolischen Austausches jeglichen Inhaltes. Und in der Angst vor dem Leben und nicht mehr in der Furcht vor dem Tod, entwickelt sich ein absolutes Bedürfnis an Vortäuschung. Die individuelle Person beunruhigt heute der Gedanke in ein Leben-ohne-Leben-und-ohne-Tod zu gleiten, ein Leben, das ausschließlich an die reine praktische Durchführung verschwendet wird. Und wer weiß, vielleicht hat sich die Utopie von Antonin Artaud – über einen Körper ohne Organe, über eine unorganische Intelligenz, fern von jeglicher funktionellen Unterteilung – nicht ins Negative verwirklicht, wenn es sich immer mehr bewahrheitet, dass man lebt ohne zu existieren: «– Ils vivent et n’existent pas./ Pourquoi?/ – Pourquoi? Il faut faire tomber la porte/ Qui sépare l’Être d’Obéir». Das ist der Punkt, der Kernpunkt, der um die Möglichkeit kreist “die Türe niederzustoßen, die das Sein vom Gehorchen trennt”, und die Schwelle zwischen dem, was wir sind und dem, was wir in der Welt und mit der Welt darstellen, zu erkennen. Das ist also die philosophische Herausforderung von Ionda: Eine Idee mit Hilfe der Kunst, soweit sie hier wirksam sein kann, von einer Schwelle wiederherstellen, eine Möglichkeit zur Unterscheidung schaffen. Hier liegt also auch der Grund, warum die Figuren ohne Dimensionen nur als Versuch entstehen, um sich mit der Realität oder dem, was von ihr in unseren Händen übrig bleibt, zu spiegeln: Durch eine Vielzahl an Photographien, deren Horizont über der Wüste des Meeres schwebt, verdichtet Ionda die Silhouetten ohne räumliche Tiefe. Um noch einmal zu bekräftigen, dass es nicht um ein abstraktes Handeln oder um eine Stilisierung geht, sondern um eine Manipulation realer Daten, eine Art Verdichtung, ein Präzipitat von Substanzen, um aus diesen realen Daten ein Signal für eine mögliche Schwelle, ein Konzentrat einer Möglichkeit, zu machen. Eine Möglichkeit, die nun sogar in der Matrix besteht, wenn die Figuren auf dieser photographischen Spur vor einem Hintergrund einer verschwommenen Realität lustwandeln, die auch Zusammenfassung der Tragödie, der Verstümmelung ist. Es ist eine Möglichkeit, die sich metaphysisch den Silhouetten im verlorenen Raum, der gekennzeichnet von unterbrochenen Dialogen ist,  zwischen abgeschnittenen Sternen und Nägeln im freien Fall hingibt. Es gelingt den Figuren die realen Daten der Erfahrung (die Leinwände der Bagnasciuga also) und die Projektion auf das Unbekannte der Gedanken (die verschiedenen promenades zwischen den Sternen) zusammen zu halten. Geschosse, die ins Leere geschossen werden, versuchen nun eine Spur von dieser unterbrochenen Beziehung zwischen den Sternen und den Konstellationen, zwischen den Sachen und den Ideen wieder zu finden. Eine Beziehung, die deutlich wird, sobald die Figuren ohne Dimensionen die Dreidimensionalität des Aluminiums erhalten und die zerdrückten Stümpfe eine bizarre Breite annehmen: Und jetzt– sobald sich auch die Räume, die unsere Körper bewohnen, in ein Gewölbe aus Sternen verwandeln, herabgefallen zwischen Figuren, die ohne zu sehen vorwärts gehen – geschieht das Wunder mit diesen Volumen ohne Dimensionen, in denen die Dinge und die Ideen in der Illusion der Begegnung in Resonanz treten.

 

   
                   
                     
             
                     
         
                     
               
                     
  Ionda lässt uns den Blick wieder aufheben, indem er den Illusionen Platz macht, und gibt uns jenseits des Schimmers eine Möglichkeit zur Begegnung. Aber unsere Städte mit ihren beleuchteten Straßen, mit ihren Leben, die nur horizontal ausgerichtet sind, bestehen noch immer. Die Titel seiner letzten Werke erzählen von unserem Leben, von der Art wie wir leben: Verloren ohne Konstellation, stumm gemacht von einem Licht, das wir nicht sehen, erdrückt zwischen dem Amboss der Nägel und der Sternenzecken, die uns bewohnen und die über uns klettern. Hier sind wir also, wie wir sind. Wir sind Verloren im Raum. Verloren. Und doch wäre ein sich Verlieren der erste Schritt, um etwas wieder zu finden. Wenn sich aber die tiefgehende Orientierung, die uns an unsere Regeln bindet, das Licht der Identität und ihrer Barbarei oder die Gewalt, die von den Gedanken versteckt und legitimiert wird, verlieren; wenn wir also all dies verlieren, werden unsere Räume aufhören zu existieren und es wird eine Leere bestehen, damit sie neu zu überdacht werden. Und in der unbekannten Leere wird sich der Kosmos, der diese Gelegenheit erkennt, ausbreiten und in der Leere wird der Raum wieder seine Form finden. Nur in diesem Raum, den wir modellieren können, nur in dieser Zeit, die wir neu einweben können, wer weiß wo und in welcher Form, werden wir hervortreten, zum Wiedersehen der Sterne. (Übersetzung von Katharina Gebharter )